Das Onlinezugangsgesetz (OZG) soll bis Ende des Jahres umgesetzt sein, wobei das „Einer für alle“-Prinzip eine wichtige Rolle spielt. Eine gute Idee: Ein Bundesland entwickelt Onlinedienste, die von allen anderen dann nachgenutzt werden. Jedoch mit unerwarteten Folgewirkungen. Anbietende Länder müssen Strukturen für Betrieb und Weiterentwicklung aus dem Boden stampfen, während sich nachnutzende Länder fragen, wie sie eigentlich > 100 EfA-Dienste von 14 verschiedenen Ländern und für unterschiedliche Nutzer im eigenen Land sinnvoll und effizient steuern sollen? IT-Service-Management (ITSM) wird zu wenig Gewicht beigemessen. Dabei kann die Verwaltungswelt von der Wirtschaft lernen.

Kurz & knapp

  • Das EfA-Prinzip gibt das Ziel vor, Entwicklung und Betrieb von digitalen Anwendungen bundesweit auf themenfeldführende Länder zu verteilen.
  • Standards und Methoden des IT-Service-Managements (ITSM) sind wenig bekannt und finden wenig Anwendung, etwa „Best Practice“-Fallstudien aus der IT Infrastructure Library (ITIL).
  • Bewusstsein und Wissen zu ITSM sollten bei anbietenden und vor allem nachnutzenden Ländern gestärkt und prozessual und strukturell verankert werden.

Bis Ende des Jahres soll die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes abgeschlossen sein – theoretisch. Passend zum realistischen Umsetzungsstand und zur Sicherung der Rechtsgrundlagen ist bereits die Weiterentwicklung zu einem OZG 2.0 angestoßen. Doch nicht nur der Zeitplan des Gesetzes ist problematisch, sondern auch Teile der Umsetzung. Kein Wunder, sollen doch 575 Leistungsbündel aus 14 Themenfeldern, die wiederum 35 Lebens- und 17 Geschäftslagen abbilden, zum Stichtag zur Verfügung stehen. Damit das gelingt, soll durch das „Einer für alle“-Prinzip (EfA-Prinzip) die Last der Umsetzung auf die Schultern möglichst vieler Landesverwaltungen verteilt werden. Entwickelt ein Bundesland eine digitale Anwendung, betreibt es diese im Anschluss und stellt sie anderen Ländern zur Verfügung (Nachnutzung).

Grundfrage: Wer gewährleistet den verlässlichen Betrieb und die Weiterentwicklung einer EfA-Anwendung?

Damit ein Bundesland die EfA-Anwendung eines anderen Bundeslandes nachnutzen kann, muss zunächst geklärt werden, wer den Betrieb sicherstellt. Denn die Anwendung muss technisch und rechtlich funktionieren: Die Nutzung des Dienstes eines Bundeslandes durch eine Stadt oder eine Kommune eines anderen Bundeslandes erfordert eine Vertragskonstruktion, die das regelt. Hier sind aktuell verschiedene Konstrukte in der Diskussion.

Passieren Zwischenfälle – ein Antrag stürzt ab oder eine Verbindung wird unterbrochen – müssen diese Ereignisse oder Störungen gemanagt werden. Wer kümmert sich darum, dass ein Problem behoben wird? Wer kümmert sich darum, dass, falls dieses Problem regelmäßig auftritt, die Anwendung dauerhaft verbessert wird? Wie werden z.B. Zugriffsrechte, Identitäten und Sicherheitsfragen gemanagt? Involviert sind nicht nur die Behörden, sondern auch ihre Dienstleister, die zum Beispiel Rechenzentren betreiben.

In der Wirtschaft haben sich Methoden des IT-Service-Managements etabliert

Um diese Aufgaben zu organisieren, hat sich in der Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten das IT-Service-Management etabliert: Als Schaltstelle sitzt es zwischen der IT einer Organisation und den externen Dienstanbietern und den Abteilungen als Nutzern. Das ITSM entwickelt die Rollen, Prozesse und Strukturen, die sich um die technischen, rechtlichen und fachlichen Probleme und Veränderungen in der IT kümmern und weist sie zu. Dafür reden die Abteilungen miteinander, die Notwendigkeiten werden identifiziert, umgesetzt und betrieben.

Diese Rollen und Prozesse sind klar beschrieben und definiert, etwa durch die ITIL. Die darin gesammelten Best-Practice-Fallstudien wurden aus der praktischen Anwendung entwickelt und werden kontinuierlich den sich verändernden Erfordernissen angepasst. Kurioserweise ist ITIL ursprünglich eine Behördenerfindung, die in den 1980er Jahren von der britischen Regierungsverwaltung entwickelt wurde.

Doch ITIL und IT-Service-Management sind heute in der deutschen Verwaltung kaum verbreitet und wurden beim OZG und dem EfA-Prinzip zu wenig oder gar nicht mitgedacht. Dabei sollten sie eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von EfA-Diensten einnehmen und in den Verträgen für die Leistungsbeziehung geregelt werden

IT-Service-Management ins OZG und EfA-Prinzip integrieren

Was also ist zu tun? Um IT-Service-Management bei der Umsetzung des OZG mitsamt den EfA-Anwendungen zu berücksichtigen, sind drei Punkte wichtig:

  • Zunächst gilt es, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von IT-Service-Management bei der Digitalisierung der deutschen Verwaltung zu schaffen. Nur wenn die Akteure diese Notwendigkeit sehen, können sie auch entsprechende Schritte einleiten.
  • Dann muss die Befähigung zur Anwendung von IT-Service-Management sichergestellt werden. Um es richtig nutzen zu können, müssen die Verantwortlichen IT-Service-Management verstehen und die Grundlagen kennen.
  • Im dritten Schritt sollte nach Lösungen gesucht werden – und zwar bei den Praktiker*innen. Bei übergreifenden Abstimmungen hat der IT-Planungsrat schon einige Aspekte im Blick. Auf der Leitungsebene werden Entscheidungen zu Verfahren getroffen. Aber zusätzlich müssen die erfahrenen Praktiker*innen – ob aus der Verwaltung, aus den Rechenzentren oder die externen Berater*innen und Dienstleister – miteinbezogen werden, um anhand von Best Practice dauerhaft tragfähige Strukturen und Prozesse in den Verwaltungen zu etablieren.

Diese kollektiven Lernprozesse müssen schnell und umfassend befördert werden. Denn die Digitalisierung der deutschen Verwaltung wird am 31.12.2022 lange nicht abgeschlossen sein. Sie ist ein fortlaufender Prozess. Gesetze, Verfahren und IT ändern sich. Auf das bereits erwähnte OZG 2.0 werden voraussichtlich 3.0, 4.0 und so weiter folgen. Für die erfolgreiche Durchführung dieses Prozesses ist IT-Service-Management unverzichtbar, um die Komplexität von verteilten IT-Lösungen in einem föderalen Staat zu orchestrieren.

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