Der Hürdenlauf zur agilen Verwaltung

In Kürze

  • Die Anwendung agiler Arbeitsansätze und Organisationsformen in der öffentlichen Verwaltung hat viele Hürden zu nehmen.
  • Rechtliche Vorgaben und strukturelle Besonderheiten der öffentlichen Hand stehen häufig im Widerspruch zu agilen Prinzipien.
  • Bestehende Arbeitsweisen und die vorherrschende Verwaltungskultur erschweren es zudem, Mitarbeitern agile Werte nahezubringen.
  • Wie andere Veränderungen stößt auch der agile Wandel auf Hindernisse. Diese gilt es zu überwinden, um die Agilität der öffentlichen Sektor nachhaltig zu sichern.

Wie in dem kürzlich veröffentlichten Artikel „Ein Plädoyer für die öffentliche Hand“ beschrieben, gewinnt das Thema der Agilität zunehmend an Brisanz in der öffentlichen Verwaltung. Auf Grund der steigenden Komplexität und Schnelllebigkeit der Herausforderungen, die von Behörden bewerkstelligt werden müssen, sowie der vielfältigen wertschöpfenden Effekte, die die Nutzung agiler Arbeitsansätze haben kann, ist ein wachsendes Bestreben, agiler zu werden, in der öffentlichen Hand feststellbar. So tauchen in den öffentlichen Projektausschreibungen immer häufiger agile Arbeitsansätze oder Pläne auf, die auf eine agile Verwaltung  abzielen. Wie die meisten Veränderungsprozesse stößt die Agilisierung der Verwaltung jedoch auf zahlreiche Hindernisse und Schwierigkeiten – wie die Praxiserfahrungen der im Rahmen einer Masterarbeit befragten Berater und Angestellten des öffentlichen Sektors zeigen.

 Gesetzliche Vorgaben erschweren ein agiles Vorgehen

Auch wenn Behörden Projekte gerne agil bearbeiten würden, berichten die Befragten, dass rechtliche Rahmenbedingungen, an die die öffentliche Hand gebunden ist, dies stark beeinträchtigen. Zum einen wird der Prozess der öffentlichen Projektausschreibung als hinderlich wahrgenommen. Die Vorabspezifizierung und genaue Beschreibung eines Projektes in einem Lastenheft verhindern ein sukzessives und iteratives Vorgehen sowie die Anpassung an veränderte externe Rahmenbedingungen und Bürgerbedürfnisse, wie es in einem agilen Projekt üblich und möglich wäre. Zum anderen ist auch die Länge des Ausschreibungsprozesses oftmals inkompatibel mit den Kernwerten der Agilität. Da Projekte europaweit ausgeschrieben werden müssen und das dafür vorgesehene Budget Monate, wenn nicht sogar Jahre, im Voraus genehmigt werden muss, vermissen die Befragten die notwendige Flexibilität und Reaktionsfähigkeit, um Projekte auf einer Ad-hoc-Basis durchführen oder laufende Projekte erweitern zu können. „Diese flexible Planung, die man im Rahmen von solchen Projekten benötigt, ist nicht in Haushalten abbildbar, also nicht in Verwaltungshaushalten. Das ist schon in Unternehmen schwierig, aber noch viel schwieriger in der Verwaltung.“

„Agilität ist darauf ausgelegt, dass jeder die Aufgaben des anderen übernehmen kann. Aber das funktioniert in der öffentlichen Verwaltung nur bedingt, weil jeder einen anderen fachlichen Hintergrund hat. Und da knallt dann klassische Verwaltung auf Agilität.“

 Agilität scheitert an den aktuellen Organisationsstrukturen der öffentlichen Hand

Doch auch die internen Organisationsstrukturen und -prozesse erweisen sich als hinderlich für ein agiles Arbeiten. Die Befragten berichten, dass „öffentliche Behörden nicht agil werden können, auch wenn sie den Willen dazu haben; sie können es einfach nicht, weil es die Organisationsstrukturen nicht hergeben“. So erschweren die klar definierten und abgegrenzten Zuständigkeiten von Mitarbeitern den Wissensaustausch und das fachübergreifende Zusammenarbeiten. Dadurch, dass Mitarbeiter für eine bestimmte Thematik verantwortlich sind, werden sie schnell zu Spezialisten und konzentrieren das Wissen zu diesem Thema in ihrer Person. Dadurch entsteht in Behörden sogenanntes Inselwissen. Dies beeinträchtigt nicht nur die Wissensweitergabe, sondern führt auch dazu, dass Mitarbeiter nicht flexibel zwischen verschiedenen Aufgabenbereichen hin- und herwechseln oder ihre Kollegen in anderen Bereichen unterstützen können, wie ein Befragter eindrücklich schildert: „Agilität ist darauf ausgelegt, dass jeder die Aufgaben des anderen übernehmen kann. Aber das funktioniert in der öffentlichen Verwaltung nur bedingt, weil jeder einen anderen fachlichen Hintergrund hat. Und da knallt dann klassische Verwaltung auf Agilität.“ Diese strukturellen Bedingungen haben zur Folge, dass agile Prinzipien wie das interdisziplinäre Bearbeiten eines Projektes oder das Pull-Prinzip der Aufgabenzuteilung – das eine selbstständige und flexible Bearbeitung seitens der Mitarbeiter vorsieht – nur schwer realisiert werden können.

„Das ist eines der größten Hindernisse, dass diese Hierarchien sehr, sehr betoniert sind und ein Abteilungsleiter im öffentlichen Umfeld eben nicht einfach seine Verantwortung aufgibt, um jemanden aus seinem Team in den Lead zu bringen und ein Thema voranzutreiben.“

Darüber hinaus werden die stark ausgeprägten Hierarchien der öffentlichen Verwaltung als agilitätshemmend eingestuft. Die Einteilung von Mitarbeitern in verschiedene Tarifgruppen und Laufbahnen scheint unvereinbar mit dem hierarchiefreien Modell der agilen Organisation. Auch gibt es bisher noch keine Antworten auf die Fragen, wie agile Rollen, beispielsweise die eines Product Owner oder Scrum Master, in die Organigramme einer Behörde eingegliedert werden können und wie deren Bezahlung zukünftig bestimmt werden sollte, wenn nicht über tariflich festgelegte Hierarchieebenen. Da agile Rollen bislang nur schwer in der aktuellen Verwaltungsstruktur abgebildet werden können, schrecken viele davor zurück, sie in ihrer Organisation anzuwenden. Auch die Zentrierung von Entscheidungsbefugnissen in den höheren Hierarchieebenen verhindert die Nutzung agiler Arbeitsansätze. Agile Teams leben von der Gleichstellung aller Teammitglieder und der Möglichkeit, offene Punkte gemeinschaftlich zu diskutieren und zu entscheiden. Die Übertragung der Entscheidungskompetenz von der Führungskraft in das agile Team ist dabei eine Grundvoraussetzung für ein agiles Vorgehen, stellt jedoch eine der bedeutendsten Herausforderungen für den öffentlichen Sektor dar. „Das ist eines der größten Hindernisse, dass diese Hierarchien sehr, sehr betoniert sind und ein Abteilungsleiter im öffentlichen Umfeld eben nicht einfach seine Verantwortung aufgibt, um jemanden aus seinem Team in den Lead zu bringen und ein Thema voranzutreiben.“

„Wir sind es nicht gewohnt, aus unserer alten Organisationsstruktur heraus transparent zu arbeiten.“

 Noch scheitert die Agilität an der Organisationskultur

Neben den beschriebenen rechtlichen und strukturellen Herausforderungen ist es aktuell insbesondere die vorherrschende Organisationskultur, die einer agilen Verwaltung im Weg steht. Da die Mehrheit der Angestellten der öffentlichen Hand bisher noch keine direkten Berührungspunkte mit agilen Arbeitsweisen hatte und es auch, bis auf einige vereinzelte Ausnahmen, keine Weiterbildungsmöglichkeiten zu agilen Methoden und Werten gibt, ist der Kenntnisstand der Mitarbeiterschaft sehr begrenzt. Dies hat zur Folge, dass Mitarbeiter, die zum ersten Mal agil arbeiten sollen, meist skeptisch und misstrauisch reagieren. Mehr noch berichten einige Befragte, dass Agilität „als Schimpfwort missverstanden wird“ und ein „Unwort im System“ ist. Denn die regelmäßigen Berichterstattungen über den eigenen Arbeitsfortschritt während Dailies und die damit geförderte Transparenz in einem Team werden von Mitarbeitern häufig als Leistungskontrolle wahrgenommen und abgelehnt, wie eine Befragte erklärt: „Wir sind es nicht gewohnt, aus unserer alten Organisationsstruktur heraus transparent zu arbeiten.“

Allgemein gesprochen ist die Verwaltungskultur stark von den juristischen Vorgaben, an die der öffentliche Sektor gebunden ist, sowie von den bestehenden Organisationsstrukturen geprägt. Besonders im Sachbearbeitungsbereich wird von Mitarbeitern erwartet, Entscheidungen gleichförmig und nach klar vorgegebenen Regeln zu fällen, um so die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Somit sind Mitarbeiter stark an ein rein juristisches Vorgehen gewöhnt und reagieren häufig skeptisch auf alternative, kreativere und weniger berechenbare Arbeitsansätze, wie etwa den des agilen Arbeitens, da diese Ansätze ihren gewohnten Arbeitsweisen und Denkmustern widersprechen. Zudem beeinflussen die beschriebenen Organisationsstrukturen den Arbeitsalltag und die Verwaltungskultur maßgeblich. Das Arbeiten mit festen Verantwortlichkeiten hat etwa zur Folge, dass Mitarbeiter nur selten mit anderen Abteilungen zusammenarbeiten und intern vorhandenes Wissen zur Problemlösung nutzen. Diese „Silokultur“ erschwert es, die interdisziplinäre Kooperation in der Verwaltung zu fördern und den Wissensaustausch nachhaltig zu stärken.

Fazit

Auch wenn die Anwendung agiler Arbeitsansätze und Organisationsformen von vielen Hindernissen geprägt ist, sollten Angestellte der öffentlichen Hand sich nicht entmutigen und davon abbringen lassen, den agilen Wandel in ihren eigenen Häusern einzuleiten. Eine gesteigerte Agilität der Verwaltung ist im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen dringend notwendig und bietet eine Vielzahl von Vorteilen. Auch in Unternehmen der Privatwirtschaft, die im Bereich der Agilität in einigen Teilen als stärker fortgeschritten eingestuft werden, war und ist der Veränderungsprozess hin zur agilen Organisation langwierig und mit Reibungen verbunden. Daher gilt es, konkrete Lösungen für die beschriebenen Hindernisse im Behördenumfeld zu entwickeln und die Agilität der öffentlichen Verwaltung langfristig zu sichern.

Zur Person

Julia Elena Taubenberger erhielt ihren Master of Science in Diversity and Change Management an der Copenhagen Business School.

In Zusammenarbeit mit mgm untersuchte sie in ihrer Masterarbeit Herausforderungen und Möglichkeiten, agile Ansätze in öffentlichen Behörden der deutschen Verwaltung anzuwenden. Sie führte Interviews mit Vertretern unterschiedlicher Behörden und Beratern der öffentlichen Hand. Die Ergebnisse der Studie finden Sie hier
Download der Masterarbeit(PDF, 1MB, englische Version)

Photo by Calvin fitra Anggara on Unsplash

 

Unsere Ansprechpartner zum Thema

Julia Elena Taubenberger
Masterandin: Agile Verwaltung

Benedikt Jost
Senior Manager
Schwerpunkt: Agile Management

Roland Kreutzer
Manager
Schwerpunkt: Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung