Interview mit Bernd Rattey, CIO Deutsche Bahn, DB Fernverkehr AG
Kein operativer Prozess kommt heute noch ohne IT aus. Die Rolle der IT innerhalb der Unternehmensstruktur hat sich dadurch enorm gewandelt. Welche neue Art zu denken alle am Prozess Beteiligten voranbringen kann, welche Gräben zu überwinden sind und was die großen Vorteile eines Zusammenwachsens von Business und IT sind – darüber berichtet Bernd Rattey am 11. September. Im Gespräch mit der Redaktion umreißt er bereits einige seiner Thesen.
Redaktion: Zusammenwachsen von Business und IT – was genau ist damit gemeint?
Bernd Rattey: Ich möchte dazu gern eine Geschichte erzählen. Vor einigen Jahren habe ich bei meinem damaligen Arbeitgeber jemanden kennengelernt, mit dem ich mich auch privat gut verstanden habe. Wir haben uns danach privat getroffen, haben aber “dienstlich” an unterschiedlichen Themen gearbeitet – ich auf der IT-Schiene und er für einen Business-Bereich.
Zusammenwachsen von Business und IT heißt für mich, dass es nicht „die einen“ und „die anderen“ gibt, sondern dass wir gemeinsam ein Ziel verfolgen
Im Zuge einer Reorganisation haben wir dann tatsächlich am gleichen Thema gearbeitet. Und da war unsere Überlegung: Wie würden wir uns eigentlich sortieren, wenn wir jetzt gar nicht in unterschiedlichen Vorstandsressorts wären, unterschiedliche Zielvorgaben hätten …? Wie würden wir uns organisieren, wenn wir eine kleine Firma mit zwei Geschäftsführern wären? Da würde nicht jeder nur seinen eigenen Bereich sehen, sondern mit dem anderen zusammenarbeiten.
Wir haben dann versucht, dieses Konstrukt für uns umzusetzen. Das war eine sehr spannende Erfahrung, weil wir festgestellt haben, dass die Behinderungen durch die äußeren Strukturen gar nicht so groß sind. Zusammenwachsen von Business und IT heißt für mich, dass es nicht „die einen“ und „die anderen“ gibt, sondern dass wir gemeinsam ein Ziel verfolgen.
Redaktion: Was würde das am Beispiel der Deutschen Bahn bedeuten?
Bernd Rattey: Wir haben das bei der Einführung des WLAN gemerkt: WLAN kann man dem Produktmarketing zuschlagen, dem Fahrzeug-Management oder auch der IT. Am Ende geht es doch aber für den Fahrgast darum, dass es funktioniert. Wer da welchen Wertbeitrag liefert, hängt ja nicht davon ab, in welcher Organisationseinheit oder in welchem Team er arbeitet – sondern dass man ein gemeinsames Ziel hat, das man erreichen will.
Redaktion: Inwiefern hat sich in diesem Zusammenhang die Rolle der IT gewandelt?
Bernd Rattey: Noch vor einigen Jahren war die IT der interne Dienstleister, der sich darum gekümmert hat, dass die Systeme am Laufen waren. Im Wesentlichen wurden wir daran gemessen, dass die IT-Kosten sinken. Heute ist es so, dass eigentlich jeder Geschäftsprozess von IT durchdrungen ist, und wenn ich etwas verändern und verbessern will, dann brauche ich immer auch die IT.
Redaktion: Wird der Wert der IT für den Unternehmenserfolg bisweilen unterschätzt?
Bernd Rattey: Früher stellte ich Bewerbern im Interview gern die Frage: Was muss denn passiert sein, damit Sie am Abend zufrieden nach Hause gehen? Da kam oft als Antwort: Wenn nichts schiefgegangen ist… Das finde ich deprimierend, dafür lohnt es sich meiner Meinung nach nicht zu arbeiten. Das hat sich aber verändert. Inzwischen wird die IT als Partner gesehen auf dem gemeinsamen Weg zu einer besseren Leistung für den Kunden bzw. Gast. Das hat auch viel mit der Stellung der IT innerhalb des Unternehmens oder Konzerns zu tun und mit dem Selbstbewusstsein der IT. Wir führen diese Diskussion intern nicht mehr.
Redaktion: Was sind die großen Vorteile des Zusammenwachsens von IT und Business?
Bernd Rattey: Der erste Vorteil ist, dass alle Beteiligten mit mehr Freude am Prozess arbeiten. Viele Jahre war es doch so, dass das Geschäft gedacht hat: Wenn die IT-ler mal richtig performen würden, dann kann ich auch meine Ziele erreichen – und umgekehrt haben die IT-ler gedacht: Wenn das Geschäft mal klar sagen würde, was es will, dann könnten wir auch gut arbeiten. So waren beide Seiten unzufrieden. Meine Erfahrung ist, dass die Beteiligten im täglichen Doing mit deutlich mehr Freude an der Arbeit sind, weil es einfach besser funktioniert. Der zweite Vorteil hat mit Erwartungsmanagement und Planbarkeit zu tun: Man sieht eher Zwischenergebnisse, man weiß genauer, was einen erwartet. Das reduziert die Gefahr von Enttäuschungen. Der dritte Vorteil: Man muss ja die IT überhaupt auch beherrschbar halten. Wenn die Business-Menschen sich selbst helfen, weil sie mit der IT nicht zusammenarbeiten können, entsteht ein nicht mehr steuerbarer Wildwuchs.
Redakion: Was Sie beschreiben, ist eine neue Art zu denken und eine neue Art zusammenzuarbeiten. Welche Schwierigkeiten müssen überwunden werden, damit das gelingt?
Bernd Rattey: Wenn man im klassischen Management ausgebildet wurde, denkt man zunächst in Kategorien wie Ziele, Budgets, Deadlines. Dann ist es tatsächlich eine Umstellung zu akzeptieren, dass vielleicht gar nicht nur einer verantwortlich ist, sondern ein Team aus Business und IT – dass man Dinge gegebenenfalls auch gar nicht mehr so hart einfordern kann.
Ändern müssen sich auch die Verhaltensmuster, wenn etwas nicht funktioniert. Früher konnte man leichter die andere Abteilung verantwortlich machen. Das führt letztlich zu Unbeweglichkeit, denn niemand möchte die Schuld bekommen, wenn etwas schiefläuft. Ich sage: Das müssen wir jetzt gemeinsam entscheiden und auch am nächsten Tag noch gemeinsam dazu stehen – ob es funktioniert oder nicht.
Redaktion: Wie schafft man denn auf Business-Seite Akzeptanz für diese neue Art zu denken?
Bernd Rattey: Ganz wichtig ist es, eine gemeinsame Sprache zu finden. Die IT ist ja eine Sprache, die nicht jeder gleich versteht. Ein Beispiel zur Erläuterung: Wenn mein Kollege neue Sitze bestellt für eine neue ICE-Teilflotte, dann stellt er die Sitze den Vorständen vor, wird das gut herleiten, eine schöne Präsentationen halten und er wird das Geld bekommen. Und wenn er zur Tür rausgeht, fühlen sich alle gut. Wenn ich aber ein großes IT-Projekt vorstelle und das auch gut herleite, eine gute Präsentation habe und so weiter … werde ich das Geld vermutlich auch bekommen, aber wenn ich zur Tür rausgehe, fühlt sich keiner gut, weil alle wissen: Da passieren so viele verschiedene Dinge und Unwägbarkeiten. Sich dessen bewusst zu sein und es allen bewusst zu machen, ist ein wichtiger Schritt. Ich muss so kommunizieren, dass die anderen mich verstehen.
Redaktion: Welche ungewöhnlichen Aktionen haben Sie bisher unternommen, um zwischen Business und IT die Kommunikation zu verbessern?
Bernd Rattey: Wir hatten für klassische IT-Themen strukturierte Prozesse, um Änderungen in die Systeme einzuarbeiten. Wir hatten aber auch viele Themen, die irgendwie in kein klassisches System passten. Deshalb haben wir einen Prozess eingerichtet, den wir Lösungssprechstunde genannt haben. Dort sitzen jeden Donnerstag in einem Raum drei Stunden ein IT-Architekt, ein IT-Applications-Mensch und ein IT-Projekt-Mensch. Jeder kann ohne Termin vorbeikommen, sein Problem schildern und an die Kollegen übergeben – ohne Formular, ohne Priorisierungslisten. Damit haben wir in kurzer Zeit eine dreistellige Anzahl von Themen eingesammelt, die wir für sinnvoll halten.
Redaktion: Was ist für Sie aktuell die größte Herausforderung in der Zusammenarbeit?
Bernd Rattey: Die größte Herausforderung ist tatsächlich, den Fokus zu finden. Wir müssen einige große Themen angehen, zum Beispiel eine gesamthafte Erneuerung unserer Planungs- und Dispositionssysteme. Da sprechen wir von über 40 einzelnen IT-Systemen. Das ist für mich kein IT-Projekt, das ist ein Business-Transformationsprozess, der jeden Tag neue Begehrlichkeiten weckt. Zudem gibt es in der Zeit bis Ablösung vermeintlich noch viele Dinge, die man auch noch erledigen kann – das sprengt dann aber den Rahmen des Großprojekts. Das zu gestalten, die Leute nicht vor den Kopf zu stoßen, auf das Große auszurichten – das macht sicherlich einen größeren Teil meiner Zeit aus.
Dieses Interview wurde ursprünglich auf innovation-implemented.com veröffentlicht.