Ökosystem Besteuerungswesen neu denken – mit einer Werte-Cloud

Diesen Beitrag hat Hamarz Mehmanesh, Gründer und CEO von mgm, Ende September auf Einladung der Steuerberaterkammer München auf dem Kammerfachtag 2023 als Rede den Auditorium präsentieren dürfen. Wir dokumenieren hier das Redemanuskript.

Kurz & knapp

„Ökosystem Besteuerungswesen neu denken“ heißt einerseits, die großen Fortschritte in der Informationstechnik, wie etwa die Möglichkeiten der Speicherung und Auswertung riesiger Datenmengen, für die Entwicklung einer neuen Besteuerungsplattform zu nutzen. Andererseits gilt es, den funktionalen Umfang eines neuen Besteuerungssystems so umfassend zu wählen, dass kein Raum bleibt für das Abgreifen der Steuerdaten durch umfassendere und bequemere Angebote amerikanischer IT-Giganten.

Noch haben wir eine realistische Chance, zukunftsfähige Digitalisierungslösungen zu konzipieren, die zu langfristiger Wahrung staatlicher Souveränität im deutschen Steuerwesen führen.

Ich möchte Sie mitnehmen auf ein Gedankenexperiment.

Was passiert, wenn ein Digitalkonzern in den Besitz sämtlicher Buchhaltungsdaten aller natürlicher und juristischer Personen in der Bundesrepublik kommt? Schauen wir uns dafür zunächst an, wo Digitalkonzerne heute stehen.

Wir leben in einer Zeit, in der die Machtfülle amerikanischer IT-Giganten ein bedenkliches Maß erreicht hat. Es wird bei Amazon eingekauft, „gegoogelt“ und über Microsoft Teams, WhatsApp und Instagram kommuniziert.

Doch wie ist es dazu gekommen? Die technologischen Entwicklungen der Nuller-Jahre ermöglichten die verteilte Ablage großer Datenmengen und ihre parallelisierte Verarbeitung. Von herausragender Bedeutung war hier das im Jahre 2004 in San Francisco von Google auf dem „Operating System Design Symposium“ publizierte Papier „MapReduce: Simplified Data Processing on Large Clusters” von Jeffrey Dean, Sanjay Ghemawat & Co.

Datenschätze und Technologie für Echzeitabfragen

Mit den heutigen Weiterentwicklungen der Speicher- und Abfrage-Technologien können z. B. 250 Petabyte (d. h. 250 Mio. Gigabyte) fast in Echtzeit durchsucht werden. Der Reichtum der Digitalkonzerne beruht auf dem Besitz unvorstellbar großer Datenschätze und der Fähigkeit, diese hocheffizient zu verarbeiten. Die Marktkapitalisierung der fünf amerikanischen IT-Giganten lag am 2. April in Summe bei mehr als 6000 Milliarden Euro. Eine unvorstellbar hohe Zahl. Auf diesen finanziellen Möglichkeiten und dem Besitz riesiger Datenmengen beruht auch die herausragende Position dieser Konzerne in der KI-basierten Nutzung der Daten. Der neue KI-Index-Report der Stanford-Universität dokumentiert, dass im Jahr 2022 bereits 32 von 35 großen KI-Modellen von Digitalkonzernen konzipiert wurden und nicht mehr von Forschungseinrichtungen, so wie es früher der Fall war (siehe Artikel in der Zeit).

Sowohl die digitale Kommunikationsinfrastruktur als auch riesige Datenschätze sind mittlerweile im Besitz von Facebook, Google, Amazon, Microsoft und Co. Diese Tatsache erzeugt eine immense Abhängigkeit von diesen Digitalkonzernen, und es stellt sich die Frage, ob wir in der Vergangenheit nicht zu zurückhaltend und zu passiv die Entstehung massiver Machtmonopole zugelassen haben.

Schließlich sagt die bayerische Verfassung (Artikel 158): „Eigentum verpflichtet gegenüber der Gesamtheit. Offenbarer Missbrauch des Eigentums- oder Besitzrechts genießt keinen Rechtsschutz.“

Sollte daher der private Besitz von riesigen werthaltigen Datenmengen und digitalen Kommunikationsnetzen nicht auch durch die öffentliche Hand geregelt werden?

Nun könnte man der Meinung sein, dass die zaghafte Anwendung des Wettbewerbsrechts und die sehr vorsichtige Regulierung der Machtakkumulation im digitalen Raum ein erster Beginn sind und dass es genügend historische Beispiele dafür gibt, dass der Gesetzgeber nach einer Weile durchgreifen wird.

Kann die Macht der Marktgiganten eingedämmt werden?

Als beruhigendes Beispiel wird gerne die Geschichte des im Jahre 1885 gegründeten Konzerns AT&T (American Telephone and Telegraph) angegeben. Bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts hatte AT&T ein Monopol auf Telefondienste in den USA. Das Kartellverfahren von 1982 führte zur Zerschlagung von AT&T und zu der Wiederherstellung eines gesunden Wettbewerbsklimas.

Ist also damit zu rechnen, dass die engagiert und tough agierende Frau Vestager als EU-Wettbewerbskommissarin genügend Mittel zur Verfügung hat, die Macht dieser Marktgiganten einzudämmen und unsere Demokratie und Wirtschaft ausreichend zu schützen? Ist also auch mit einer Zerschlagung von IT-Konzernen zu rechnen? Wird Amazon gezwungen werden, sich entweder als Online-Marktplatz oder als Logistik-Unternehmen, aber nicht als beides zu betätigen? Wird der Apple Store weiter reguliert werden?

Das Beispiel AT&T ist auf die Regulierung von IT-Giganten nicht übertragbar, weil sich die Rahmenbedingungen in der Ist-Zeit radikal geändert haben. Nationale Landes-Interessen bzw. EU- oder US-Interessen können nicht mehr ausschließlich aus lokaler Sicht bewertet werden. Die Regulierung der amerikanischen Digitalkonzerne geschieht mit größter Vorsicht, weil selbst diese Giganten in einem globalen Wettbewerb mit chinesischen Konzernen stehen, die auch sehr groß und teilweise sogar mächtiger sind und ein noch ausgeprägteres Daten- und Machtakkumulationsverhalten an den Tag legen, das nicht demokratisch kontrolliert ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass alle chinesischen Konzerne direkt oder indirekt vom chinesischen Staat gelenkt werden und als Glieder eines Körpers agieren.

Der The-winner-takes-it-all-Effekt

Niemand will riskieren, dass chinesische Digitalkonzerne die globalen Märkte beherrschen und das Prinzip „The winner takes it all“ für sich nutzen.

Dazu Marc Kowalsky, ein Schweizer Journalist im Handelsblatt der Schweiz:

„In der digitalen Welt gewinnt immer der Stärkere, weil die Kosten für die Erstellung und den Betrieb einer Software nur moderat mit der Anzahl der Benutzer dieser Software wachsen. Daher sind hier Skaleneffekte noch viel ausgeprägter. Und noch wichtiger sind Netzwerkeffekte, denn wenn alle meine Freunde auf einer Plattform sind, dann möchte ich auch dahin. Professor Boris Beaude von der Universität Lausanne sagt: ,Mit jedem Klick wird der Stärkste stärker‘. Deswegen gibt es im Internet nur eine dominante Zahlungsplattform (PayPal), nur einen dominanten Fahrdienstvermittler (Uber), nur eine dominante Versteigerungsplattform pro Land (in der Schweiz Ricardo, im Rest der Welt eBay) – es ist der sogenannte The-winner-takes-it-all-Effekt.“

Daher ist es von fundamentaler Wichtigkeit, dass Digitalkonzerne nicht die Chance bekommen, noch weitere Daten- und Infrastruktur-Monopole aufzustellen. Welche Rolle spielt die Steuerverwaltung, das Steuerwesen dabei?

Die Steuer behandelt die Teilnahme am Rechts- und Wirtschaftsverkehr über Verkehrssteuern, den Konsum über Verbrauchsteuern und den Besitz über Ertrag- und Substanzsteuern. Alle Bemessungsgrundlagen für die Steuer, d. h. jedweder Umsatz, jeder Erwerbsvorgang, jeder Verbrauch, jeder Ertrag und jedweder Besitz, sind als Informationen in Buchhaltungen hinterlegt und der Steuerverwaltung zugänglich.

Man kann diese Informationen auch als „Werte“ bezeichnen. Die Steuerverwaltung kann sich das Wissen über alle in einem Land existierenden Bemessungsgrundlagen oder Werte beschaffen und regelt die korrekte Zuordnung dieser Bemessungsgrundlagen in einem Kategorien-Schema, um sie auf einer Geldwerte-Skala zum Zweck der Besteuerung zu normieren. Sie kann beispielsweise Regelungen zu jeder Art von Erwerbs-Transaktionen erlassen und hat in vielen Bereichen Informationen über Eigentum und Besitzübergang. Sie hat die Aufgabe, eine „Werte-Systematik“ zu konzipieren und „die Güter“ der realen und der digitalen Welt darauf abzubilden.

Erstaunlicherweise sind diese Werte-Daten bzw. Informationen noch nicht im Besitz der IT-Giganten. Sie sind periodenbezogen der Steuerverwaltung bekannt, liegen in Buchhaltungssystemen von Privatpersonen und Unternehmen und in Verwaltungssystemen von Steuerkanzleien. Bisher sind diese Daten sehr verstreut und dienen nur der Steuererfassung und der Aufstellung gesetzlich geforderter, normierter und nachvollziehbarer Berichte wie dem Jahresabschlussbericht von Firmen.

Problematisch: Verlagerung vieler Daten in die Cloud

Wir befinden uns also in der Situation, in der es einen riesigen Datenschatz gibt, der noch nicht zusammengeführt und für die weitere Aggregierung und Verwertung gehoben ist!

Mit den erzielten Fortschritten im Bereich Cloud-Computing ist es nun möglich, lokale Datenhaltungen zu vermeiden und Verwaltungssysteme zu bauen, die die Daten aller Kunden in der Cloud verwalten. Lokale Installationen auf verstreuten Servern sind damit nicht mehr notwendig. Viele Anbieter von Geschäftsanwendungen oder Verwaltungssystemen forcieren zurzeit die Ablösung kundenlokaler Datenhaltungen und Systeminstallationen durch die von ihnen verfügbar gemachten cloudbasierten Dienste. Mit deren Nutzung wandern die Daten dieser Anwendungen in die Clouds von Software-Anbietern, IT-Unternehmen also, die diese Verwaltungsprogramme zur Verfügung stellen.

Warum ist das problematisch? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese IT-Firmen erkennen, welchen immensen Wert diese Daten besitzen und welche Macht deren Besitz für sie bedeutet. Natürlich garantieren diese Firmen, dass sie auf diese Daten nicht zugreifen werden. Dennoch werden sie nach und nach höchst attraktive Angebote machen, die man aber nur wahrnehmen kann, wenn man einer gewissen Verwertung seiner Daten zustimmt.

Hier einige Beispiele dafür, welche Art von Angeboten erwartbar sind:

  • „Wir können ihre Stromrechnung bis zu 40 % reduzieren, wenn wir ihre monatlichen Kosten überprüfen dürfen.“
  • „Wir garantieren 5 % bessere Leasing-Konditionen für ihre Firmenwagen, wenn wir Ihre Einkaufskonditionen vergleichen können.“
  • „Bäckereien, die doppelt so viel Umsatz machen wie Sie, kaufen das Mehl für 20 Cent pro Kilo. Dürfen wir Ihre Einkaufskonditionen optimieren?“

Nach und nach werden diese Daten dann auch durch Dritte verwertet werden, so wie dies mit Daten über unser Kaufverhalten, Urlaubsverhalten, unsere Verkehrsbewegungen usw. bereits geschieht. Berücksichtigt man, welche profitablen Geschäftsmodelle der Besitz und die Verwertung der Werte-Daten erlauben, dann ist davon auszugehen, dass sich die IT-Giganten unserer Zeit auch in diesem Bereich aufstellen werden, um mit intuitiven, kostengünstigen und umfassenden Verwaltungslösungen den Markt zu beherrschen. Gelingt dies, dann besitzen Digitalkonzerne das Wissen darüber, wem was gehört und wer welche Güter in einem bestimmten Zeitintervall verbraucht.

Durch den Besitz dieser Informationen können Digitalkonzerne Einkaufs- und Verkaufstransaktionen über ihre eigenen Plattformen abwickeln und ihr bereits vorhandenes globales Digitalnetzwerk vollständig ausnutzen. Der Digitalkonzern mutiert damit zu einem unschlagbaren globalen Zwischenhändler mit umfassenden Informationen über Güter, Verbräuche sowie Kauf- und Verkaufskonditionen.

Damit würde die Machtfülle dieser Konzerne eine neue Dimension erreichen.

Mit einer Werte-Cloud die “Werte dieser Welt” regeln

Wir müssen überlegen, wie wir den Besitz der immensen Menge an Daten über die „Werte dieser Welt“ auch in Zukunft im Interesse der „Gesamtheit“ regeln. Glücklicherweise ist dieser Datenbereich noch nicht cloudifiziert und monopolisiert, was nicht mehr lange so bleiben wird.

Als IT-Firma wissen wir um die Gefahr des Datenmissbrauchs und wie bereits dargestellt haben wir auch kein Vertrauen, dass durch die Anwendung des Kartellrechts die Bildung von weiteren Machtmonopolen verhindert wird. Daher sollte dringend und ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob und in welcher Weise eine staatliche Alternative, eine staatliche „Werte-Verwaltungscloud“, im Folgenden „Werte-Cloud“ genannt, aufgebaut werden kann. Mit einer staatlichen Lösung könnten wir der fortschreitenden Übernahme der Gestaltungshoheit unserer Lebenswirklichkeit durch wenige Digital-Konzerne etwas Wirksames entgegensetzen.

Diesen Gedanken möchte ich im Folgenden kurz ausführen.

Der Gedanke wäre, dass eine Organisation von der Mächtigkeit der föderal aufgestellten deutschen Steuerverwaltung die Aufgabe bekommt, das Besteuerungswesen neu zu denken. Dabei soll die Steuerverwaltung bei der Erfüllung dieser Aufgabe wie ein mächtiger Digitalkonzern denken und handeln. Das bedeutet, dass sie ihre Fachkompetenzen, Möglichkeiten und ihre bereits vorhandenen IT- Erfahrungen ausschöpft, nicht nur, um ihre Aufgaben zu erfüllen, sondern auch, um der größte „Player“ im digitalen Raum dieses Landes zu werden. Denn Digitalkonzerne kennen die Datenökonomie und die Stärke des The-winner-takes-it-all-Effekts. Wie würde also ein solcher Unternehmer denken und handeln?

Der Digitalunternehmer würde das Ziel verfolgen, alle steuerrechtlich relevanten Werte in der Werte-Cloud abzubilden, dort zu verwalten und zu verarbeiten. Jedes werthaltige Ding aus der realen Welt bekommt eine Identifikation und wird dadurch unter seinem Identifikationsschlüssel in der Werte-Cloud verfügbar. Wenn heute beispielsweise ein 3er-BMW vom Band geht, dann wird für dieses Auto bereits jetzt im Werk ein eindeutiger Ident-Schlüssel generiert, mit dem das Auto bis zur Verschrottung identifiziert wird. Dieser Schlüssel soll dann auch in der Werte-Cloud hinterlegt werden können.

Sobald also eine steuerrelevante Entität in der realen Welt entsteht, entsteht auch ihr digitales Abbild in der Werte-Cloud.

Gleiches gilt für alle Ereignisse des Lebens wie z. B. Kauf- und Verkaufsereignisse. Die Besitzhistorie von Werten und ihrer „Abnutzung“ oder „Aufwertung“ wäre somit lückenlos in der Werte-Cloud verfügbar. Wenn diese Werte identifiziert werden können, dann können sie automatisch in die Buchhaltungen der verschiedenen juristischen und natürlichen Personen gebucht werden. Auf Basis der Werte-Cloud könnte die Steuerverwaltung auch jeder natürlichen und juristischen Person den Leistungsumfang eines heutigen Buchhaltungssystems als Service anbieten. Damit bräuchte z. B. eine Firma wie mgm nicht mehr zwingend ein eigenes Buchhaltungssystem, sie könnte die Services der Werte-Clouds für die täglichen, monatlichen und jährlichen Arbeiten verwenden. Auch der Jahresabschluss wäre dann im System der Steuerverwaltung bereits vorhanden. Alle Rechnungen, alle Zahlungen, alle Abschreibungen, alle Finanzbewegungen wären ohnehin bereits in der Werte-Cloud der Steuerverwaltung verfügbar.

Sind die Voraussetzungen gegeben? – Ja!

Nicht nur als Techniker fragt man sich sofort, ob die Voraussetzungen für die Erschaffung eines solchen Systems bereits gegeben sind.

Wie bereits ausgeführt sind diese Voraussetzungen aus technischer Sicht sicher gegeben. Doch wie steht es um die fachlichen Voraussetzungen? Ist die Fachlichkeit so gut spezifiziert, dass sie digitalisiert werden kann?

Persönlich haben mich die Gespräche mit unserer Steuerberaterin immer sehr fasziniert. Es ist unglaublich, aber sie kann jede noch so eigenartige Frage von Finanzlaien wie mir meist sofort oder in kürzester Zeit mithilfe eines dicken roten Buchs beantworten.

Sie wissen, worauf ich hinauswill: Es gibt keine mir bekannte Fachlichkeit, die so akkurat und umfassend spezifiziert ist wie das Steuerrecht. Übersetzt in die IT-Sprache heißt das, dass eine perfekte Spezifikation vorliegt und dass es hochprofessionelle Prozesse gibt, um diese Spezifikation up to date zu halten. Fachexperten sprechen hierbei von Gesetzgebung und Vollzug.

Da wir uns heute in München treffen, sei die Bemerkung erlaubt, dass die bayerische Steuerverwaltung im Rahmen des ELSTER-Projekts die Digitalisierung des Vollzugs seit Jahren mit Erfolg voranbringt.

Wenn Technik und Fachlichkeit stimmen, dann müssen „nur noch“ die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Konzeption einer Werte-Cloud geschaffen werden.

Ziel: Missbrauch einer Werte-Cloud verhindern

Auch mir ist völlig bewusst, dass in dem gerade gesagten Nur-Noch viele sehr kritische politische wie rechtliche Aspekte zu berücksichtigen wären. Aber in einem bin ich mir sehr sicher: Die großen Digitalunternehmen werden ihre Wege finden, um unter bestehender Gesetzgebung ihre Lösung für eine Werte-Cloud auf den Weg zu bringen. Weder Amazon noch Musik-Streaming-Dienste haben auf „Erlaubnis“ gewartet. Sie haben einfach Tatsachen geschaffen. Warum sollten sie das nicht auch auf diesem Feld schaffen?

Warum sollte der Staat all diese Daten besitzen und nicht zwei oder drei Digitalkonzerne? Warum sollten wir dem Staat mehr vertrauen? Ist der Staat nicht gefährlicher? Meine Antwort ist: Nein! Der deutsche Staat ist nicht gefährlicher. Warum ist das so?

Über Jahrhunderte haben wir uns auf die Beschränkung der Machtfülle des Staates als Ganzem und die optimale Verteilung der Macht innerhalb der Institutionen des Staates konzentriert. Schon im 17. Jahrhundert hat John Locke, oft als Vater des Liberalismus bezeichnet, die Idee der Gewaltenteilung publiziert und das Fundament für die Trennung von Legislative und Exekutive gelegt. Und gerade die Bundesrepublik hat nach dem Zweiten Weltkrieg basierend auf dem Grundgesetz ein wirklich bemerkenswertes Staats- und Gesellschaftssystem aufgebaut, das bis heute der Garant für die Sicherung der Grundsäulen unserer Demokratie ist.

Persönlich glaube ich, dass wir den Missbrauch einer Werte-Cloud nur dann verhindern können, wenn sie in staatlicher Hand liegt. Dies wird nicht gelingen, wenn die Werte-Cloud in der Hand von internationalen IT-Giganten liegt.

Wir haben jetzt die einmalige Chance, diesen Datenschatz unter gesellschaftliche Kontrolle zu stellen – oder ihn für immer dem individuellen Gewissen eines Mark Zuckerberg oder Elon Musk zu überlassen.

Doch wie steht es mit der Machbarkeit? Ist es für eine staatliche Organisation nicht zu schwer und unrealistisch, ein solches System zu erschaffen und zu betreiben?

Bitte erlauben Sie mir, auf diese Frage abschließend mit Seneca zu antworten:

„Nicht weil es so schwer ist, wagen wir es nicht. Weil wir es nicht wagen, ist es so schwer.“

Fotos: Steuerberaterkammer München, Studio Mayer / Ulrich Mayer