Mit dem Ablauf der OZG-Frist Ende 2022 tritt die Verwaltungsdigitalisierung in eine neue Phase. Bisher lag der Schwerpunkt darauf, die identifizierten 575 Verwaltungsleistungen erstmals überhaupt online bereitzustellen. Spätestens jetzt sollte sich der Fokus auf den dauerhaften Betrieb verlässlich laufender, anpassbarer – und langfristig finanzierbarer – Software verschieben. Denn die größten Aufwände von Software entstehen nicht bei der initialen Entwicklung.

Kurz & knapp

  • OZG hat agile Arbeitsmethoden in Behörden etabliert; aber viele Fragen bleiben unbeantwortet – etwa wie Software langfristig betrieben und weiterentwickelt werden kann oder die nach Sicherheit und Skalierbarkeit.
  • Daher sollte das Ende der OZG-Frist ein neuer Anfang sein, wo produktive Software langfristig stabil und wirtschaftlich betrieben, sukzessive verbessert und an veränderte Umstände angepasst wird.
  • Für eine nachhaltige Digitalisierung der Verwaltung müssen technische und organisatorische Mechanismen für Wartung und Weiterentwicklung einbezogen werden.
  • Technische Ansätze können die Aufwände für die Nutzung neuer Technologien reduzieren – wie das Designprinzip „Seperation of Concerns“, ein Abstraktionsverfahren, das einzelne Bereiche eines Programms möglichst klar voneinander abgrenzt.
  • Die Trennung von Fachlichkeit und Technik wird mithilfe von Low Code realisiert.

Seit dem Inkrafttreten des Onlinezugangsgesetzes am 18. August 2017 ist nun fast ein halbes Jahrzehnt vergangen. Die Frist läuft nun Ende dieses Jahres ab, „Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten“ (OZG §1 Abs.1). Aus Perspektive der Softwareentwicklung sind fünf Jahre eine regelrechte Ewigkeit. Und doch ist schon jetzt absehbar, dass Ende 2022 nicht jede Verwaltungsleistung elektronisch über ein Verwaltungsportal abgewickelt werden kann. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der organisatorischen Komplexität des föderalen Systems bis zu den Herausforderungen äußerst heterogener behördlicher IT-Landschaften.

OZG 1.0: Lernprozesse, Labore und neue Prinzipien

Ist das OZG damit gescheitert? Mitnichten! Es hat Schwung in die Verwaltungsmodernisierung gebracht und Lernprozesse in Gang gesetzt. Es hat mit Digitalisierungslaboren agile Arbeitsmethoden in vielen Behörden etabliert. Und es hat die Konzeption von Umsetzungsprinzipien wie „Once-Only“ und „Einer für Alle“ (EfA) inspiriert. Trotz der Anlaufschwierigkeiten bei der Umsetzung markiert das OZG den Startschuss für den Aufbau einer großen staatlichen Softwareinfrastruktur, der im Gesetz als „Portalverbund“ bezeichnet wird.

Während mit Blick auf die nahende Frist vor allem die Realisierbarkeit der Online-Angebote bis zum 31. Dezember 2022 im Vordergrund stand, blieben viele zentrale Fragen lange Zeit ausgeblendet: Wie lässt sich die im Rahmen des OZG aufgebaute Softwareinfrastruktur dauerhaft betreiben, weiterentwickeln und langfristig finanzieren? Wie wird sichergestellt, dass sie sicher und skalierbar ist? Wie kann sie mit vertretbarem Aufwand auch künftige Technologiesprünge meistern – ohne in wenigen Jahren von Grund auf neu gebaut werden zu müssen?

Das Ende der Frist als Anfang begreifen

Die mit dem OZG eingeführte Frist hat ihre Sonnen- und Schattenseiten. Einerseits hat sie ein klares Ziel vorgegeben. Andererseits hat sie aber auch den Blick darauf verstellt, was nach dem Zielpunkt geschieht. Es darf nicht so sein, dass alte und neu eingestellte Digitalisierungsverantwortliche im ganzen Land die Ziellinie überqueren, um danach erschöpft zusammenzubrechen. Das Ende der Frist sollte vielmehr als neuer Anfang gedacht werden. Denn den wenigsten der Verantwortlichen scheint vollumfänglich klar zu sein, dass die initiale Entwicklung einer Software nur einen Bruchteil der Gesamtaufwände verursacht. Die wahre Kunst besteht darin, produktive Software für einen langen Zeitraum stabil und wirtschaftlich zu betreiben, sukzessive zu verbessern und immer wieder an veränderte Umstände anzupassen.

Software ist von ihrer Natur aus durch eine enorme Plastizität geprägt. Sie erfährt erst dann keine Veränderungen mehr, wenn sie nicht mehr genutzt wird. Einerseits sind regelmäßige Updates und Bugfixes nötig, um die Stabilität zu erhöhen und identifizierte Schwächen zu korrigieren. Andererseits sind fachlich motivierte Erweiterungen und Anpassungen unabdingbar. Die Welt dreht sich weiter – auch in Hinblick auf Verwaltungsleistungen. So kann beispielsweise eine gesetzliche Änderung ganz neue Abfragen und Prozesse im Zusammenhang mit einer Verwaltungsleistung mit sich bringen.

Für eine nachhaltige Digitalisierung der Verwaltung muss deshalb auch ein besonderes Augenmerk auf die technischen und organisatorischen Mechanismen für Wartung und Weiterentwicklung gelegt werden. Das OZG sieht schließlich kein Ende der jetzt entwickelten Online-Dienste vor, eine Stilllegung zu einem künftigen Zeitpunkt ist per se nicht vorgesehen. Das Gesetz nimmt Bund und Länder vielmehr grundsätzlich in die Pflicht, Verwaltungsleistungen online anzubieten. Ende offen.

Klare Vorgaben für ein gemeinsames Verständnis

Welche Leitplanken sollten nun für die nächste Phase der Verwaltungsdigitalisierung gesetzt werden? Welche Grundsätze wären zielführend für ein OZG 2.0 – und zwar über das reine Nachkommen der Pflicht hinaus? Eine wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung ist die Einengung des bereits oft kritisierten Interpretationsspielraums des Gesetzes. Einige spitzfindige Behördenvertreter legen es so aus, dass nur das nutzerseitige Frontend betroffen ist – und nicht die dahinterliegenden verwaltungsseitigen Prozesse.

Diese Auslegung gleicht einem Taschenspielertrick, den auch Startups manchmal zum Test eines Prototypens anwenden – zum Beispiel für KI-Services: Man bastelt eine glänzende Benutzerschnittstelle, bietet den Nutzern darüber einen genialen neuen Dienst an, wickelt die Anfragen dahinter aber zunächst manuell ab. Damit erscheint nach außen ein moderner Service, den es de facto noch gar nicht gibt. Zum Test, ob das Angebot angenommen wird, ist diese Vorgehensweise nachvollziehbar. Bei der Verwaltungsdigitalisierung hingegen nicht. Hier gilt es, von Anfang an die volle Digitalisierungsstrecke und die Anforderungen an die Skalierbarkeit der Dienste zu berücksichtigen.

Eine Weiterentwicklung des OZG sollte entsprechend explizit darauf eingehen, was genau „elektronische Verwaltungsleistungen“ bedeuten. Dazu gehören elektronische Anträge, die idealerweise schon bei der Antragstellung eine vollständige fachliche Verifizierung vornehmen und die Nutzer beim Antrag unterstützen. Dazu gehören aber auch Fachverfahren, die Anträge entgegennehmen, einen digitalen Kommunikationskanal zwischen Nutzern und Sachbearbeitern etablieren und perspektivisch auch eine Dunkelverarbeitung ermöglichen. Nicht zuletzt sollte durch die Anbindung von Registern eine Wiederverwendung von Daten möglich sein – wobei die Datenhoheit klar bei den Nutzern liegen sollte.

Einbeziehung der Verwaltung mit modellbasierter Softwareentwicklung

Auf lange Sicht wird der Portalverbund unweigerlich mit technologischen Neuerungen konfrontiert. Auch dafür gibt es technische Ansätze, mit denen sich die Aufwände für die Nutzung neuer Technologien reduzieren lassen. In der Softwareentwicklung gibt es ein grundlegendes Designprinzip namens „Seperation of Concerns“ (SoC) – ein Abstraktionsverfahren, das einzelne Bereiche eines Programms möglichst klar voneinander abgrenzt. Es ist ein wesentliches Verfahren, um komplexe Systeme handhabbar zu machen und lässt sich auf verschiedenen Abstraktionsstufen einsetzen. Mit dem aus der modellbasierten Softwareentwicklung hervorgegangenen „Low Code“-Konzept, das wir bei mgm in unserer Enterprise Low Code Plattform A12 nutzen, lässt sich eine ganz wesentliche „Seperation of Concerns“ realisieren: die Trennung zwischen Fachlichkeit und Technik.

Fachliche Inhalte, die letztlich auch beschreiben, welche Angaben die Nutzer beispielsweise in einem Antragsformular machen müssen, werden dabei in Modellen verwaltet. Die Erstellung und Pflege der Modelle übernehmen keine Programmierer, sondern Mitarbeitende in Fachbereichen einzelner Behörden. Alles was sie dafür brauchen sind spezielle Modellierungswerkzeuge, die nicht schwieriger zu bedienen sind als Excel. Mit Hilfe von Generatoren und Interpretern lassen sich die Modelle dann automatisiert in Code überführen, um Antragsformulare und Fachverfahren zu realisieren.

Fachliche Souveränität im Digitalen

Dieser Ansatz, der in der deutschen Steuerverwaltung im Kontext von ELSTER seit Jahren bewährt ist, hat für langfristig bereitzustellende Software zwei entscheidende Vorteile. Zum einen gestalten behördliche Fachbereiche die von ihnen verantwortete Software direkt mit, sie wahren im Digitalen ihre fachliche Souveränität. Zum anderen sichern die Modelle auch über einen langen Zeitraum Kontinuität in der Software und schaffen eine gewisse Unabhängigkeit von bestimmten Technologien. So lässt sich beispielsweise mit vertretbarem Aufwand ein neues Framework für die Benutzeroberfläche oder eine neue Datenbanktechnologie einsetzen.

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