Formale, maschinell verarbeitbare Sprachen können eine direkte Brücke von der Gesetzgebung zum digitalen Vollzug etablieren und damit die Digitalisierung der Gesetzgebung vorantreiben. Von der Willensbildung über den Prozess in der Ministerialbürokratie bis zur Validierung wären Simulationen und Vergleiche von Lösungsalternativen möglich. Zudem ließe sich das Risiko fehlerhafter Gesetzesanwendungen mittels IT erheblich reduzieren. Zu diesen Ergebnissen kommt die vom Nationalen E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ) geförderte Kurzstudie „Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates“.

  • Natürlichsprachliche Gesetztestexte lassen sich mit formalen Sprachen in eindeutiger maschinenlesbarer Form auszudrücken, so das Ergebnis der Kurzstudie.
  • Der Einsatz solcher Sprachen ermöglicht die Modellierung der Gesetzesinhalte und eröffnet neue Möglichkeiten bei der Planung, Überprüfung und Umsetzung der Gesetze.
  • Autoren empfehlen die Entwicklung geeigneter Sprachen in interdisziplinären Teams und die Erprobung in Pilotprojekten für ausgewählte Gesetzgebungsverfahren.

Die Autoren der Studie schlagen vor, bereits im Gesetzgebungsverfahren auf einen Modellierungsansatz zu setzen: „Ergänzend zu den üblichen juristischen Texten in natürlicher Sprache sollten schon heute die Regelungen möglichst früh auch in einer formalen Sprache als Modelle festgehalten werden – und direkt Teil der Gesetze werden“, sagt Prof. Dr. Bernhard Rumpe, Mitautor der Studie und Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering der RWTH Aachen. „Künftig können Modelle die führende Rolle übernehmen. Auf ihrer Basis lassen sich juristische Texte in natürlicher Sprache generieren.“

Motiviert ist der Ansatz durch den fortschreitenden Einzug der Digitalisierung in die Arbeitsbereiche der Verwaltungen. Hierdurch müssen immer häufiger IT-Anwendungen auf Basis gesetzlicher Grundlagen entwickelt oder angepasst werden. Vor diesen Herausforderungen stehen nicht nur naheliegende Umsetzungen, die aus der Steuergesetzgebung notwendig werden. Immer mehr Gesetze haben Auswirkungen auf die Definition von Tatbestandsvoraussetzungen inklusive komplexer Abhängigkeiten sowie auf die Berechnungen von Leistungen oder auf Zuständigkeiten und Prozesse. Bisher liegt aber eine tiefe Kluft zwischen der Gesetzgebung und dem digitalen Vollzug: Die administrative Verwaltung wird mit gesetzlichen Änderungen in natürlicher Sprache konfrontiert, muss sie richtig interpretieren und anschließend – meist mit Hilfe externer IT-Firmen – in die Verwaltungsanwendungen bringen, sprich: in Programmcode übersetzen. Dadurch gibt es gleich zwei Schritte, die zu Abweichungen von der Intention des Gesetzgebers führen können: die Interpretation und die Programmierung.

Digitalisierung erfordert Transfer von Gesetzen in Programmcode

„Eine formale Sprache macht es möglich, die Digitalisierung schon bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen“, sagt Janos Standt, Bereichsleiter Public Sector der mgm technology partners GmbH und Mitautor der Studie. „Dadurch behält der Gesetzgeber die Kontrolle über die Ausgestaltung. Die ursprüngliche Intention bleibt gewahrt – das ist ein wichtiger Faktor für die digitale Souveränität des Staates. Außerdem eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für alle Beteiligten.“ Der Gesetzgeber kann die Modelle für Simulationen nutzen, Lösungsalternativen vergleichen und vor allem, die Digitaltauglichkeit sicherstellen. Die Administration wäre in der Lage, die Gesetze schließlich durch generierten Programmcode schnell und eindeutig umzusetzen. Neutrale Stellen können die Modelle nutzen, um Rechtskonsistenzprüfungen durchzuführen.

Wie das Verfahren im Detail funktioniert, untersucht die Studie mit Fokus auf die Steuergesetzgebung. Die Studie diskutiert mehrere Lösungsvarianten und zeigt beispielhaft, wie formale Sprachen für die Abbildung von gesetzlichen Steuerberechnungen und zur Modellierung von Fristen konkret aussehen könnten.

Bei der elektronischen Steuererklärung (ELSTER) ist ein modellgetriebener Ansatz beispielsweise bereits seit Jahren im Einsatz – erstreckt sich bislang aber noch nicht bis zur Gesetzgebung. „Die Vorverlagerung bestimmter Modellierungsschritte in den Gesetzgebungsprozess wäre eine konsequente Vervollständigung der Digitalisierungskette des deutschen Steuersystems“, sagt Roland Krebs, ebenfalls Mitautor der Kurzstudie und ELSTER-Gesamtprojektleiter beim Bayerischen Landesamt für Steuern.

Handlungsempfehlungen: Übertragbarkeit erproben und Standards etablieren

Die Handlungsempfehlungen der Autoren legen nahe, die Anwendung formaler Sprachen zunächst im Rahmen ausgewählter Gesetzgebungsverfahren zu erproben. Das Prinzip ist auf andere Bereiche wie die Sozial- und Umweltgesetzgebung übertragbar. Für die Entwicklung der Sprachen – die Informatik spricht auch von sogenannten domänenspezifischen Sprachen (engl. domain specific language, kurz DSL) – sind interdisziplinäre Teams nötig, die das Wissen von Juristen, Informatikern, Verwaltungsexperten und Fachexperten der jeweiligen Domäne zusammenbringen. Die Entwicklung sollte außerdem mit einem Normierungsprozess verbunden sein, um Standards zu etablieren.

Neben den Sprachen müssen passgenaue Werkzeuge zur Erstellung der Modelle und zur automatischen Code-Generierung entwickelt werden, die auch Nicht-Entwickler in der täglichen Umsetzungsarbeit nutzen können. Ein weiterer entscheidender Schritt, um solche Verfahren zu etablieren, ist laut den Studienautoren der Aufbau neuer Kompetenzen in Politik und Verwaltung. Denkbar wäre zum Beispiel, dass Juristen auf Referatsebene gemeinsam mit IT-Experten die Modelle als Teil des Referentenentwurfs ausarbeiten. Wenn DSLs und Berechnungsmodelle als Standards und Normen so offizieller Teil des Gesetzes werden, sind enorme Effizienzsteigerungen im Gesetzgebungsprozess und bei der Umsetzung der Gesetze möglich.

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Die Studienbeteiligte:

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