City-Logistik: Hermes entwirft Szenario zur Bewältigung der Paketflut

Kaum ein Thema wurde in den letzten Wochen innerhalb der Handelsbranche mit so viel Emotionalität diskutiert wie die zu Weihnachten erwartete Paketflut und die damit verbundenen Herausforderungen an die Logistik. Insbesondere die Ankündigung des Paketdienstes Hermes, innerhalb der Weihnachtszeit für einzelne Onlinehändler „regionale Mengenobergrenzen“ einführen zu wollen, nährte die Sorge, dass die Kapazitäten der Zustelldienste mit dem Wachstum des Online- und Versandhandels nicht mehr Schritt halten könnten. In einem Interview erläuterte nun Roger Hillen-Pasedag, Bereichsleiter Strategy, Innovation & CR bei Hermes Germany, wie sich sein Unternehmen die Logistik der Zukunft vorstellt.

Wie Hillen-Pasedag erläuterte, haben Paketdienste wie Hermes insbesondere mit zwei Faktoren zu kämpfen. Zum einen herrsche im Bereich der Paketzusteller ein eklatanter Personalmangel vor. „Es gibt immer weniger Menschen, die diese Tätigkeit ausüben wollen. Hier werden wir künftig neue Lösungen erarbeiten müssen“, berichtet der Hermes-Bereichsleiter. Zum anderen müssten mittlerweile fast 70 Prozent der Zustellungen in urbane Zentren geliefert werden, in denen die Bewältigung der sogenannten „letzten Meile“ zum Kunden besonders anspruchsvoll ist.

Effizienz und Automatisierung stehen im Fokus

Insbesondere in den Innenstädten muss die Logistik daher effizienter und stärker automatisiert werden. Aus Sicht von Hillen-Pasedag könne die Neuausrichtung der City-Logistik allerdings nicht von den Unternehmen allein geleistet werden. „Dafür ist eine neue Infrastruktur notwendig, also einerseits Micro Depots, aber auch Ladestationen für die Elektrofahrzeuge. Und hier brauchen wir die Unterstützung der Kommunen, etwa bei der Bereitstellung von Flächen“, erklärt er. Speziell die zentrumsnahen Micro Depots, in denen die Pakete für die Zusteller bereitgestellt werden sollen, sind laut des Hermes-Szenarios als Rückgrat der innerstädtischen Zustellung unverzichtbar.

Für die Lieferung der Pakete in die Depots und zu den Kunden sollen künftig zudem vor allem elektrische Vans eingesetzt werden, um die Schadstoff- und Lärmbelastung in den Städten möglichst gering zu halten – eine Idee, die auch Hermes-Konkurrent DHL mit seinen StreetScootern forciert. Zusätzlich könnten auch elektrische Fahrräder und Follow-me-Fahrzeuge, die dem Zusteller vollautomatisch folgen, zum Einsatz kommen.

Skalierungsfähige Lösungen mit Mehrwert sind gefragt

Darüber hinaus könnten autonome Fahrzeuge und Roboter Zusatztouren übernehmen oder die klassische Zustellung an der Haustür neu gestalten. Allerdings müssten hierfür einerseits zunächst die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Andererseits müsse die autonome Lieferung auch dem Kunden einen Zusatznutzen bringen. Ein Hermes-Test mit dem Starship-Roboter habe diesen Mehrwert noch nicht hinreichend erbringen können. „Es braucht skalierungsfähigere Lösungen auf Basis attraktiverer ‘Customer Journeys’“, so Hillen-Pasedag. Die Skalierbarkeit ist nach Meinung des Hermes-Managers auch im Falle von Drohnen fraglich: „Unsere Sendungen gehen zu fast 70 Prozent in urbane Metropolregionen. Die Zustelltouren umfassen hier oft deutlich mehr als 100 Pakete. Aktuell ist es nur schwer vorstellbar, wie Drohnen solche Paketmassen bewältigen können.“

Als eine weitere Herausforderung sieht Hillen-Pasedag die klassische Haustürzustellung. Trotz der Vorliebe vieler Kunden für diese Zustellungsart, passe sie häufig nicht mehr zu deren konkreter Lebensrealität. „Wir haben ja heute das Phänomen, dass der Großteil der Pakete an die Haustür geht, obwohl die Mehrheit der Empfänger gar nicht zu Hause ist. Die Frage, der wir uns mittelfristig noch intensiver stellen müssen, ist also: Wie kann der Paketstrom insofern effizienter gestaltet werden, dass die Zustellung sich möglichst optimal in den Alltag des Konsumenten integrieren lässt?“ So könnten beispielsweise große Mehrfamilienhäuser mit Paketkastenanlagen ausgestattet werden, in denen Zusteller Pakete auch dann hinterlegen können, wenn die Empfänger nicht daheim sind. Darüber hinaus müsse aber auch das Netz an Paketshops und Pick-up-Stationen ausgebaut werden, um Selbstabholungen für den Kunden attraktiver zu machen. Technische Entwicklungen könnten der Selbstabholung nach Einschätzung Hillen-Pasedags einen weiteren Schub verleihen: „In den USA werden z.B. gerade mobile Abholstationen getestet, also Abholpunkte, die nicht fest installiert sind an einem Ort, sondern sich zu bestimmten Zeiten des Tages an flexiblen Orten befinden – also dort, wo sich die Kunden bewegen. Das ist eine interessante Option.“

Bildquelle: Otto Group