Der rote Backstein und der rostige Stahl alter Fabrikhallen scheint ein willkommenes Setting zu sein, um sich über die Auswirkungen der Digitalisierung Gedanken zu machen. So lud nach dem EHI Retail Institute mit seinen Omnichannel Days auch das ECC des Instituts für Handelsforschung in eine Location mit reichlich Industriecharme. In der BALLONI-Halle im Kölner Szeneviertel Ehrenfeld geriet das besondere Flair des Veranstaltungsraums allerdings schnell in den Hintergrund. Schließlich konnten die Organisatoren zahlreiche interessante Speaker für das ECC-Forum „B2B-E-Commerce im Plattformzeitalter“ gewinnen, die spannende Einblicke in ihre jeweiligen Business Cases gewährten und dabei zeigten, wie man als B2B-Hersteller, -Händler oder -Start-up in Zeiten der Plattformökonomie überleben kann. Ein paar Eindrücke und Notizen ausgewählter Vorträge möchte ich in diesem Beitrag wiedergeben.

B2B-E-Commerce im Plattformzeitalter – alles einsteigen!

Nach einem charmanten Intro der Leiterin des ECC Köln, Sabrina Mertens, die auch als Moderatorin durch den Tag führte, hielt Dr. Kai Hudetz die Keynote der Veranstaltung. Dabei stellte der Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung die Ergebnisse zweier neuer Studien vor und verband die Zahlen mit einem Aufruf an die Besucher des ECC-Forums, die Plattformökonomie nicht zu ignorieren.

  • Der B2B-Markt ist mit 148 Mrd. Euro größer als der B2C-Markt. Der Onlineanteil ist mit 4,3 % weiterhin gering, aber stark steigend (durchschnittlich +21 Prozent p.a. zwischen 2012 und 2017).
  • In Kategorien mit vergleichsweise wenig erklärungsbedürftigen Produkten ist ein verändertes Einkaufsverhalten bereits jetzt deutlich zu spüren. In der Kategorie „C-Teile & MRO-Artikel“ liegt der Onlineanteil bereits bei 16 Prozent. Nur noch 2 Prozent der Kunden wechseln bei Einkäufen in dieser Kategorie nicht den Kanal. Multichannel ist in dieser Kategorie somit angekommen. Die Customer Journey wird dadurch komplexer.
  • Der B2B-Markt durchlebt somit die Entwicklung des B2C-Markts. Zunächst werden vor allem „einfache“ Produkte online angeboten und gekauft.
  • Der Kunde wird bestimmen, wohin die Reise geht. Schon jetzt wünschen sich beispielsweise 55 Prozent der B2B-Einkäufer offene Katalogpreise.
  • Marktplätze und Plattformen werden immer stärker Bestandteil der B2B-Customer-Journey. Bereits bei 75 Prozent der B2B-Beschaffer wird die Customer Journey durch Plattformen beeinflusst.
  • B2B-Unternehmen sollten daher sofort eine Strategie für die Plattformisierung erarbeiten.

B2B-E-Commerce in Verbundgruppen: Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele

Der weitere Vormittag stand ganz im Zeichen der Verbundgruppen und der Frage, ob ihre Form der Zusammenarbeit eine passende Antwort auf die Transformation im B2B-Handel sein kann. Hierzu erläuterte zunächst Christoph Hosang, Projektleiter bei Raiffeisen Service, wie die Verbundgruppe Raiffeisen eine B2B-E-Commerce Plattform für genossenschaftlich organisierte Agrarhändler aufgebaut hat.

  • Die Raiffeisen-Verbundgruppe vertritt u.a. 862 Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften, deren Kunden vor allem Landwirte sind.
  • Herausforderungen für diese Genossenschaften:

– Strukturveränderung in der Landwirtschaft (immer größere, aber dafür weniger Kunden; Aufkommen von professionellen Einkäufern in diesen Großbetrieben)

– Aufstieg des B2B-E-Commerce (es wird ein digitaler Kanal benötigt, auch getrieben durch die professionellen Einkäufer)

– Angriffe durch Wettbewerber (private Landwirtschaftshändler, Hersteller, Start-ups, evtl. Amazon)

  • Raiffeisen-Händler besitzen derzeit den Kundenzugang und wollen ihn gegen die Angriffe verteidigen.
  • Individuelle Shops ergeben wenig Sinn, daher hat sich die Raiffeisen-Verbundgruppe zu einem kooperativen Modell entschlossen. -> Aufbau einer Multihoming-Plattform
  • Gemeinsamer Aufbau der zentralen Plattform durch interessierte Genossenschaften -> diese Genossenschaften können die Plattform eigenständig nutzen -> weitere Genossenschaften können hinzukommen -> Gründung einer eigenen Betreibergesellschaft
  • Perspektivisch könnte die Plattform auch für die Konkurrenz geöffnet werden, sodass Raiffeisen zum Infrastrukturgeber wird.

Verbundgruppen & digitale Plattformen – a perfect match?

Christoph Hosang nahm anschließend auch in einer Podiumsdiskussion zu diesem Modell Stellung. Darüber hinaus diskutierten auch Dr. Kai Hudetz, Thomas Dammann, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Hartwarenhandel, sowie Carina Ressel und Andreas Bauer von der Unternehmensberatung coadvise über die Möglichkeiten der Verbundgruppen im B2B-E-Commerce.

  • Deutschland hängt bei der Plattformisierung gegenüber den USA und Asien hinterher. Ein Grund hierfür ist der stark fragmentierte Markt in Deutschland mit einem großen Mittelstand. Die Verbundgruppen sind eine Folge dieses fragmentierten Marktes.
  • Digitale Plattformen und Verbundgruppen teilen eine gemeinsame DNA. Beide sind Infrastrukturgeber. Zudem überzeugen Verbundgruppen mit Händlervielfalt, Sortimentsbreite und erprobter Logistik. Verbundgruppen sind daher auf die Plattformökonomie eigentlich gut vorbereitet.
  • Die Kommunikationsstruktur in den Verbundgruppen muss allerdings neu gedacht werden (zu viele Gremien, um eine hohe Geschwindigkeit zu erzielen). Zudem braucht es Early Adopter aus der Reihe der Genossenschaften, die als „Koalition der Willigen“ vorangeht.
  • Deutschland hat generell kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Organisationen müssen bereit sein, ihr bisheriges Geschäft auch ein Stück weit zu kannibalisieren, z.B. wünschen sich die Kunden Preistransparenz.
  • Im Bereich der Landwirtschaft stellen die Kunden laut Hosang ohnehin schon selbstständig Preistransparenz her. Preise werden u.a. über Messengerdienste geteilt. Agrarhändler müssen sich daher zunehmend zum Agrardienstleister wandeln und andere Mehrwerte als den Preis in den Vordergrund rücken (vor Ort sein, beraten).

Bauen 4.0: Wie die Bauindustrie über INPERA effizient einkauft

Nach einer kurzen Kaffeepause stellte Nicolas Fritsch, CTO bei INPERA, das Geschäftsmodell seines Unternehmens vor, das sich als Beschaffungsnetzwerk für die Bauindustrie versteht.

  • Derzeit plagen die Baustoffbranche verschiedene Probleme:

– aufwendige Produkt- und Preissuche

– ineffiziente Bestellwege

– unsichere Verfügbarkeiten

– mangelndes Digitalisierungs-Know-how

– innovationsfeindliche Kostenstrukturen

– Intransparenz in der Zusammenarbeit

  • INPERA möchte als B2B-Plattform Transparenz im Baustoffhandel schaffen und allen Beteiligten eine Zeitersparnis ermöglichen.
  • Die INPERA-Plattform steht dabei zwischen den Lieferanten (Hersteller, Baustoffhändler) auf der einen Seite und den einkaufenden Bauunternehmen auf der anderen Seite.
  • Die Lieferanten spielen Preisvereinbarungen, Beschaffungszeiten und ihre Sortimentsverfügbarkeiten über Schnittstellen in die Plattform ein. Bauunternehmen können auf unterschiedlichen Wegen (vollautomatisch über APIs, über eine Website bzw. App oder über den klassischen Vertrieb) bestellen.
  • Die Bestellung kann somit medienbruchfrei erfolgen und wird ausreichend dokumentiert.
  • Die INPERA-Engine ist modular aufgebaut und lässt sich dadurch schnell und unkompliziert erweitern und optimieren.
  • Zentral sind die Schnittstellen zu den einzelnen Partnern. Hier ist es wichtig, sich mit allen Systemen verbinden zu können.

Conrad Marketplace – Wie baut man einen B2B-Marketplace in Rekordzeit?

Anschließend berichteten Katja Hauser, Senior Expert Marketplace & Process Management, und Eileen Scharf, Senior Expert Online Customer Requirements & Quality Assurance, wie sie für den Elektronikhändler Conrad innerhalb von sieben Monaten einen B2B-Marktplatz aufgebaut haben.

  • Handel diversifiziert sich zunehmend. Insbesondere die traditionelle B2B-Distribution droht wegzufallen und durch Marktplätze ersetzt zu werden. Hiervon sieht sich Conrad mit seinem B2B-Handel bedroht.
  • Daher sollte in kurzer Zeit ein B2B-Marktplatz aufgebaut werden.
  • Die größten Herausforderungen dieses Projekts:

– sportliche Timeline (sieben Monate)

– die Umsetzung der Paymentoption „Kauf auf Rechnung“ (sie wurde von keinem Paymentprovider für den B2B-Handel angeboten)

– Definition eines ersten MVPs (Reibungspunkte zwischen Business und IT)

– Koordination zwischen internen Abteilungen und externen Partnern

– interne Kommunikation zur Notwendigkeit der Marktplatzstrategie

  • erarbeitete Lösungen:

– großer Fokus auf interne Kommunikation (Change Management), um Ängste zu nehmen

– Setzen auf agile Methodiken (Scrum)

– Integration externer Partner ins Projekt

– „Kauf auf Rechnung“ konnte mit einem aufgeschlossenen Paymentprovider doch noch umgesetzt werden

  • Vorteile für den Kunden

– ein Login schafft Zugang zu weiteren Sellern -> größere Produktvielfalt

– Seller und Produkte sind durchgängig zertifiziert

– Wettbewerbsfähige Preise durch Preistransparenz

– „Kauf auf Rechnung“ ist bei allen Sellern möglich (Conrad übernimmt das Forderungsmanagement und schafft so Sicherheit für die Händler)

  • Vorteile für die Handelspartner

– Zugang zu sämtlichen Conrad-B2B-Kunden

– überschaubarer Implementierungsaufwand

– Hoheit über Sortiment, Preise, Lieferkosten

– internationale Skalierbarkeit

Nicht ohne meinen Händler – wie Schuhhändler Gabor stationäre Händler und Onlinehandel versöhnt

In die besonderen Herausforderungen eines Herstellers führten nach der Mittagspause Dr. Markus Reheis, CMO beim Damenschuhhersteller Gabor, und Stefan Willkommer, CEO von TechDivision, ein. Dabei erläuterten sie, wie Gabor seine Retailer in den Aufbau eines Marktplatzes einbinden konnte.

  • Unternehmensmaxime von Gabor war lange Zeit, seinen vorwiegend stationären Handelspartnern keine Konkurrenz zu machen. Daher wurde bis vor kurzem kein eigenes Onlineangebot aufgebaut.
  • Medienkonsum und Einkaufsverhalten der Kundschaft verschieben sich jedoch zunehmend in Richtung Internet. Mittlerweile werden in Deutschland 30 Prozent aller Schuhe über das Internet verkauft. Darauf muss Gabor nun reagieren und Präsenz zeigen.
  • Hinzu kommt: Gabor verfügt über ein riesiges Sortiment (etwa 3.000 Modelle pro Jahr). Selbst große Stationärhändler haben nicht mal 10 Prozent hiervon auf Lager.
  • Lösung: Etablierung eines digitalen Gabor-Marktplatzes unter Beteiligung der Händler.
  • Um die Händler zu stärken, wurde ein Algorithmus mit einigen besonderen Entscheidungsfaktoren entwickelt:

– Händler first! (Das Gabor-Zentrallager verschickt Produkte nur selbst an den Endkunden, wenn kein Händler liefern kann oder will.)

– möglichst wenig Splitsendungen (Wenn ein Händler die komplette Bestellung verschicken kann, wird dieser bevorzugt.)

– räumliche Nähe (Händler in Kundennähe werden bevorzugt. Dies ermöglicht es den Händlern, den Paketen ein eigenes Prospekt beizulegen, um auch ihr stationäres Geschäft zu bewerben.)

– Wenn ein Händler die Bestellung ablehnt oder nicht zeitnah reagiert, wird ein neuer Händler ausgewählt.

  • Es gibt auf dem Marktplatz keinen Preiskampf. Gabor bestimmt den Preis auf der Plattform. Um den Händlern in jedem Fall einen Gewinn zu ermöglichen, kauft Gabor die bestellten Schuhe den Händlern zum UVP und nicht zum Einkaufspreis ab. Der Händler zahlt lediglich eine kleine Marktplatzprovision.
  • Die Inventardaten der Händler sind äußerst wichtig. Die verschiedenen Wawi-Systeme anzubinden, war jedoch eine Herausforderung.

Klöckner & Co., der Vorreiter der Digitalisierung in der Stahlindustrie

Im anschließenden Vortrag berichtete Christian Pokropp, Geschäftsführer bei kloeckner.i, wie sich der Stahlhändler Klöckner & Co. vollkommen neu aufstellt.

  • Klöckner & Co. versteht sich als Stahlhändler als Bindeglied zwischen Stahlindustrie und weiterverarbeitender Industrie.
  • Die Stahlbranche geriet in den letzten Jahren zunehmend unter Preisdruck. Dies war auch für Klöckner & Co. problematisch.
  • Kosten wurden zwar reduziert, aber darüber hinaus war auch eine neue Strategie notwendig. Klöckner & Co. will sich daher als Digitalisierungsvorreiter im Stahlhandel positionieren. Ziel: 2022 sollen 60 Prozent des Umsatzes digital erzielt werden. Derzeit steht Klöckner & Co. bei etwa 21 Prozent.
  • Erste Gehversuche mit einer eigenen Innovationsgruppe scheiterten. Daher versuchte Klöckner & Co., sich in die Start-up-Szene zu vernetzen.
  • In einem ersten Schritt wurden anschließend erste digitale Tools entwickelt, um den bislang sehr ineffizienten Stahlhandel zu vereinfachen. Es wurden beispielsweise Onlineshops und ein Kontraktportal entwickelt.
  • Anschließend wurden die auf diese Weise entwickelten Tools in einem Serviceportal zusammengeführt.
  • Dieses Portal sollte dann geöffnet werden – zunächst für das eigene Sortiment ergänzende Produkte, dann auch für die Konkurrenz. Wettbewerber taten sich jedoch damit schwer, Produkte über eine Klöckner-Plattform zu vertreiben. Daher wurde mit XOM nun eine offene Industrieplattform eröffnet.
  • Um diese Transformation zu stemmen, war auch ein Kulturwandel nötig. U.a. wurde die interne Kommunikation umgestellt und eine Digital Academy gegründet, über die sich Mitarbeiter weiterbilden können. Zudem treibt der CEO das Thema Digitalisierung vehement voran.

Mit Teamplay zu Innovationen bei ALBA: Wie SCRAPPEL den Wertstoffhandel revolutioniert

Am Nachmittag betrat zudem noch Matthias Spanic, Geschäftsführer von SCRAPPEL, die Bühne. Er berichtete, wie die Tochtergesellschaft des Berliner Entsorgungs- und Recyclingunternehmens ALBA den Wertstoffhandel umkrempeln möchte.

  • Mit SCRAPPEL wurde ein Marktplatz für Wertstoffe geschaffen, der alle Prozesse – also nicht nur die Transaktion selbst, sondern beispielsweise auch Versicherungsdienstleistungen oder den Transport – abdeckt.
  • Bei der Entwicklung dieses Marktplatzes mussten jedoch einige Hürden überwunden werden.
  • 1. Hürde: Aufbau eines geeigneten Teams

– SCRAPPEL benötigte sowohl IT-Fachleute als auch Experten für den Schrotthandel und seine Besonderheiten.

– ALBA besaß wenig Digital-Know-how und ist als Entsorger für IT-Experten auf den ersten Blick nicht unbedingt attraktiv. Die Ausgründung von SCRAPPEL hat hier geholfen.

  • 2. Hürde: Generierung von Customer Insights

– Der Wertstoffhandel ist sehr speziell und folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Daher musste viel mit Marktteilnehmern gesprochen werden, um die Pains & Needs zu erfahren.

  • 3. Hürde: Auswahl passender Partner

– SCRAPPEL soll sämtliche Prozesse des Wertstoffhandels anbieten. Daher war es wichtig, vertrauenswürdige und kompetente Partner für die Plattform an Bord zu holen, die beispielsweise Factoring-, Versicherungs-, Payment- oder Transportservices übernehmen.

– SCRAPPEL versteht sich selbst als Mittler zwischen allen Parteien. Es wird beispielsweise kein eigener Schrott an- und verkauft.

– Die Inanspruchnahme der Services ist nicht von einer Transaktion auf der Plattform abhängig. Sie können auch einzeln gebucht werden.

  • 4. Hürde: Markteintritt

– Es befinden sich bereits viele Wertstoffhändler auf der Plattform, aber die Branche ist weiterhin sehr analog. Auch dieser Haltung will SCRAPPEL gerecht werden.

– Andere Marktteilnehmer wollen teilweise nicht Teil der Plattform werden, weil sie eine hundertprozentige Tochter der ALBA Group ist. Daher soll die Gesellschafterstruktur in absehbarer Zeit verändert werden.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf LinkedIn veröffentlicht.